Vollstes Verständnis

Was nun folgt, ist die Geschichte meiner ersten Jugendherbergsfahrt in Deutschland.

Eines Nachmittags kam ich missgelaunt nach Hause, der Geruch von Essen schlug mir entgegen. Ich hatte mir in der Schule wiedermal einen peinlichen Sprachfauxpas geleistet. Also schmiss ich meinen Ranzen in die Ecke (ihr seht, wie schnell ich mich an die hierigen Gepflogenheiten angepasst hatte?) und das Sprachlernprogramm an. "Hallo, mein Name ist Anna. Sie wollen Deutsch lernen? ... "
Inzwischen hatte Vater den Brief wegen des Elternabends zur Herbergsfahrt entdeckt. Ich hatte ihn strategisch günstig auf seinen Schreibtisch gelegt. Bei Abendessen kam er auf das Thema zu sprechen. Ich spitzte die Ohren.
Rasheed, mein jüngster Bruder rief aufgeregt "Ich will mit!", was natürlich mit einem scharfen Nein quittiert wurde, woraufhin er versuchte, seinen Teller zu zertrümmern. Beide, er und das Geschirr blieben heil. Israelische Qualitätsware, wie mein Vater schmunzelnd zu sagen pflegt. Onkel E. regt sich dann immer fürchterlich auf. Aber er wohnt weit, weit weg.
Leider in der Nähe von Israel.
Nach dem Elternabend rief meine Klassenlehrerin, die uns in Sexualkunde immer von ihrer eigenen Schwangerschaft zu erzählen wusste, meine Eltern zu einem persönlichen Gespräch.

"Also, liebe Familie §arabNachname, ich wollte sie beide noch einmal unter vier Augen sprechen."
Eigentlich sind es sechs Augen, wenn ich nicht beide zudrücke, wird wohl mein Vater gedacht haben.
"Ich nehme an, dass das eine heikle Situation ist."
Meine Eltern nickten verständnisvoll. Gut, dermaßen viel Verständnis wird es nun doch nicht gewesen sein, da Mutters "Integrationskurs für ausländische MitbürgerInnen" (so hieß das wirklich!) erst im nächsten Semester begann und man sich damals mit Vater prima über MOSFETs und Kondensatoren unterhalten konnte, nicht aber über schulische Pläne.
"Ihre Tochter ist eine gute Schülerin und findet sich erstaunlich gut zurecht." (dabei hätte ICH nicht mit ihr übereingestimmt)
Wann werden sich die Familienoberhäupter wohl gewogen fühlen, etwas zu antworten?
"Ich möchte sie also bitten, das alles in Betracht zu ziehen und ihrer Tochter die Mitfahrt zu ermöglichen."
Darauf läuft es also hinaus. Die Geduld hätten sie nicht verloren, wer stundenlang teetrinkend die politische Lage des Ostens besprechen kann, lässt sich davon doch nicht einschüchtern.
"Wir wollen nicht unser Kind ausschließen..."
Die Lehrkraft hört offensichtlich nicht zu:
"Jedoch, bedenken Sie, wir werden alles mögliche tun um Ihrem Glauben entgegen zukommen, die Unterkünfte und Duschen sind ja sowieso getrennt, ich habe schon mit den anderen Schülern gesprochen, sie werden Ihre Kultur respektieren..."
"Sehr schön. Unsere Tochter fährt mit, da ist keine Frage."
"Aber Herr §aN - wie? Fahima fährt mit? Sie erlauben es ihr? Ohne Probleme?"

So viel Toleranz wird hier in Deutschland geleistet. Das erinnert mich an die Geschichte mit dem gutherzigen Mann, der einer alten Dame über die Straße half, obwohl die gar nicht wollte.

Dass meine Lehrerin aber mit den Mitschülern sprach, erklärt, warum ich danach immer wieder aufgezogen wurde oder dumme aka neugierige Fragen kamen.
Niki (Gast) - 8. Dez, 19:37

Dieser Lehrerin scheint es deutlich an Einfühlungsvermögen zu fehlen, wenn sie eine angebliche "Andersartigkeit" ohne Notwendigkeit mit anderen Schülern bespricht und damit womöglich erst zum Thema macht.

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