Montag, 3. September 2007

Vom Reinigen eines Gebetsteppiches

Die Tür zu Rasheeds Zimmer steht offen. Sein Spielzeug liegt auf dem Boden verstreut, wie immer. Das ist verdächtig, nicht wegen der Unordnung, sondern weil er nicht drin ist. Aus dem Bad dringt ein seltsames Gluckern an mein Ohr. Ich stoße die Glastür auf, Brüderchen erschrickt, quiekt, lässt den nassen Sack in seiner Hand in die Dusche fallen. Mein Blick wandert zu dem dunklen, schweren Stück Stoff. Ein Gedanke schießt durch meinen Kopf, ich kann das Etwas identifizieren. Es ist einer der Gebetsteppiche. Ich mache hektisch einen Schritt vorwärts, um meinen Bruder an der Schulter zu fassen. Er beginnt zu weinen. Ich fische den Teppich aus der überquellenden Wanne - das erklärt, warum langsam das Wasser durch meine Socken dringt - und begutachte ihn vorwurfsvoll. Wenigstens ist es nicht der teure und antike, der uns mal geschenkt wurde, sondern einer der neuen, wahrscheinlich aus Massenproduktion, aus Bangladesh oder Indonesien, wie ich meine. Aber Gebetsteppich ist Gebetsteppich. Der hier ist schmutzig - ich nehme nicht an, dass Rasheed ihm das Schwimmen beibringen wollte - und, vielleicht noch schlimmer, befindet sich im Badezimmer. Es ist nicht unbedingt religiös erwünscht (was für ein Euphemismus...), heilige Dinge (Qur'an, Schmuck mit Suren darauf, Teppiche etc.) in einen so unreinen Raum wie das Bad zu bringen. Natürlich ist das Bad nicht schmutzig per se (beispielsweise wenn meine Mutter es geputzt hat - ähm, ein Scherz, ihr versteht?), sonst hätte ja eine rituelle Waschung wenig Sinn. Jedenfalls, wir standen im Bad, der Junge triefend vor Tränen, der Teppich triefend vor Nässe und Schampoo.
"Was hast du gemacht, Rasheed? Was soll der Unsinn?" Ich war so aufgebracht, dass ich ins Arabische zurück fiel, was eigentlich sehr paradox ist, da ich es seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr gesprochen habe. Vor Kurzen habe ich angefangen, mein Vokabular zu verbessern, mit 7 konnte man eben noch nicht so viel über Kunst und Wissenschaft reden, mit dem Erfolg, dass es sich mindestens um den Begriff für "Ungläubiger" erweitert hat.

"Ich habe...ich...ich habe Kakao verschüttet..." Er ist, wenn er nicht angeben muss, ein sehr liebenswürdiger, zarter Junge. Nun hat er es eben geschafft. Ich fürchte, er könnte auch in Mekka eine Massenpanik auslösen. Vielleicht nicht mit Schokomilch, aber wer weiß...
"Komm, ich gehe in die Küche und du wischst hier auf."
"Das geht nicht, das Waschbecken ist voll."
"Bist du nicht dran mit Geschirr wegräumen...? Oder ist dir der Kakao in den Weg geraten?"
Er murmelt irgendetwas unverständliches, vielleicht türkisch, hebräisch, Hindi oder irgendeine andere Sprache, die ich nicht verstehe. Vielleicht war es auch nur Verlegenheit.
Nun mussten wir uns beeilen. Ich schrubbe den Teppich, während Rasheed das Bad wischt. Der Kakaofleck geht raus, mein Brüderchen ist weniger erfolgreich, besonders weil das Schampoo viel Schaum bildet. Wir lassen das Aufräumen also sein und begeben uns auf den Balkon, um die Gebetsunterlage mit Priorität sowie sämtliche Badvorleger trocken zu föhnen. Natürlich riecht es nach drei Minuten verbrannt, diese dummen Kaffeeherstellerföhne taugen nichts.

Rasheed beseitigt das Chaos, räumt den kaputten Geschirrspüler ein (Hoffnungen muss man haben!).
Dann höre ich laute Musik aus dem Zimmer der Jungen. Typisch.
Und wenn Mutter nach ihrem Föhn fragt, ich war es nicht. Taugt nichts, die Billigware.
Aber das Schampoo, das ist klasse. Der Teppich ist sauberer denn je.
Hoffentlich bekommt der Nächste, der darauf niederkniet, keine nassen Beine.

Underneath the Veil

Denken und Glauben

Wo Verstand ist, da braucht es nicht viele Worte

Nicht jeder, der einen Bart trägt, ist schon ein Weiser. (arab. Sprichwort)

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