Montag, 24. September 2007

Kampf ums Kopftuch

Die Türkei steht womöglich vor einer Wende beim Kopftuchverbot an Universitäten. Im Entwurf für eine neue Verfassung fordern Rechtsexperten ein Ende des Banns - die Säkularisten gehen auf die Barrikaden.
Von Annette Großbongard
Istanbul - Fatma Benli ist Rechtsanwältin, in einem Goldrahmen hängt die Zulassung von der Anwaltskammer an der Wand ihres Istanbuler Büros, daneben ihr Uni-Diplom. Doch trotz ihrer einwandfreien Qualifikation kann die 34-jährige Juristin ihren Beruf nur eingeschränkt ausüben: Sie darf nicht vor Gericht auftreten. Der Grund ist das gelb-braune Kopftuch, mit dem Fatma Benli aus religiösen Gründen ihr Haar verhüllt.

Liebe Fatma, das Kopftuch ist nicht religiöse Pflicht. Vielmehr versucht man(n) dir einen Moralkodex aufzuerlegen. Ich nehme an, du übst deinen Beruf aus Überzeugung aus. Du willst für Gerechtigkeit sorgen, den menschen helfen. Du möchtest Gutes tun.

In der streng säkularen Türkei dürfen Frauen mit Kopftuch weder Richterinnen sein noch Ärztinnen, sie dürfen nicht auf Ämtern arbeiten - und nicht studieren.
Dann bitte ich dich, strenge dich für deine Ideale an. Streben nach Wissen IST eine religiöse Pflicht, also gehe in die Universität.

Für Gerichtstermine geht sie heute einen Kompromiss ein: Sie schickt eine Partner-Anwältin ohne Kopftuch.
Allerdings ist dies eine faule Lösung. Wenn das Kopftuch deiner Meinung anch obligatorisch ist, warum unterstützt du das nicht-konforme Verhalten deiner Geschlechtsgenossin? Du sieht, wohin das führt. Ich frege dich noch einmal - bis du bereit, auszuüben, wofür du jahrelang gelernt hast? Ist dein Gerechtigkeitssinn stark genug? Dann betrete den Gerichtssaal, ohne hijab, dir bleibt schließlich keine Wahl.

Ein Teil des strengen Banns könnte jetzt fallen. Die Türkei diskutiert über eine neue Verfassung. Die bisherige, die noch aus der Feder der Militärs nach dem Putsch von 1980 stammt, soll reformiert werden. Dabei könnten sich den Kopftuchfrauen endlich zumindest die Türen der Universitäten wieder öffnen.
Dies ist ein Fortschritt, auch wenn er wie ein Rückschritt wirkt. Die orthodoxen Frauen (bzw. mit konservativen Eltern) werden nicht mehr von Bildung ausgeschlossen und zur Passivität verdammt. In Deutschland gibt es diese Problematik auch: Man nimmt sich ein Vorbild an frankreich und wettert gegen kopftuchtragende Schülerinnen. Man erkennt nicht, dass man den Mädchen damit einen Bärendienst erweist.

"Wegen seiner Kleidung und seines Aussehens darf niemandem das Recht auf Hochschulausbildung verwehrt werden." Alternativ: "Kleidung und Aussehen an Universitäten ist frei." Wenn ein mädchen/eine Frau sich ohne Kopftuch schämt: Es reicht, das zu tun, was wirklich im Qur'an steht: Verlängert eure Kleidung, bedeckt euren Busen und tragt keinen auffälligen Schmuck.

Wenn das Kopftuchverbot falle, warnt der linke frühere Justizminister Hikmet Sami Türk, entstehe ein "religiöser Druck", der sich nicht nur auf Kleidung und Aussehen begrenzt. Auch "Freiheit und Unabhängigkeit der Lehre" seien in Gefahr.
Aber diesen Druck gibt es bereits. Und er verletzt mit dem gesetzlichen Ausschluss die Menschenrechte der Frau, beschränklt sie in ihrer freiheit

Schon nach einem Jahr werde man keine Studentinnen mehr ohne Kopftuch sehen, prophezeit gar der Meinungsforscher Turhan Erdem, "am Ende werden wir getrennte Klassen für Jungen und Mädchen einrichten müssen". Andere sehen sogar schon "das Ende der Republik" gekommen.
Wenn es für die jetzigen Frauen primär ist Bildung zu erhalten, und sie dafür das Kopftuch "aufgeben", warum sollte sich das signifikant ändern?

Quelle (des kursiven texts): SpiegelOnline

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