2.Dass sie ihre Scham hüten
//Ich poste diesen Beitrag erneut, da ich die "unveiling"_Serie endlich fortsetzen möchte
{Die geschichtlichen und religiösen Hintergründe des Kopftuches}
Nachdem ich in der vorherigen Ausgabe erläuterte, was überhaupt als Kopftuch gilt und welche Rolle der Qur'an bei der Debatte, ob das Tragen von jenem Pflicht ist, wende ich mich nun der Herausbildung der moralischen Frage zu. Ich warne vor Subjektivität im Text, die allerdings nicht meine Meinung wiederspiegeln muss und auch nicht von Voreingenommenheit meinerseits zeugen sollte.
Muslime behaupten, alle Gesetze, die Allah dem Menschen auferlegt, hätten einen sinnvollen Hintergrund. Es scheint hinter jedem Vers, zumindest aus religiöser Sicht, ein pragmatischer Ansatz zu stecken. Doch viele Aussagen sind pervertiert, für egoistische Zwecke benutzt worden und in ihr Gegenteil verkehrt worden.
Menschen, die individuelle Aufgeklärtheit (und optional Unabhängigkeit von Religion, Atheismus) anstreben, widersprechen vehement der obigen Aussage: Was ist der Sinn darin, Jahrhunderte alte Anweisungen zu befolgen und ihr Leben nach einem von einer möglicherweise nicht-existenten übernatürlichen Entität auferlegten Moralkodex zu folgen, der von? Diese Sichtweise, in der viel Rebellion gegen Organisation von außen und Unsicherheit mitschwingt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Zuerst die generelle Frage, bevor wir auf den hijab zurückkommen: Verheißt die Anwendung bestimmter Ideale (hier: das Tragen des Kopftuches) auf das Leben Freude und Erfolg?
Hier beginnt bereits der Fehlschluss: Die Ziele einer Muslima und einer westlichen (christlich ist nicht implizit gemeint!) Frau divergieren theoretisch auf einigen Ebenen.
Letztere erwartet vielleicht vom Leben beruflichen Erfolg, weite Anerkennung, sexuelle Bestätigung durch die Gesamtheit der Gesellschaft, vor allem aber, dass das „Glück von irgendwo her kommt“, sei es durch tägliches Yoga oder das Befolgen der Tipps eines Frauenratgebers. Versagt sie jedoch, hat dies eine signifikante Wirkung auf die Psyche: wenn ihr(e) Körper/Kompetenz/Charme nicht gut genug ist, was hat sie dann noch, falls sie sich die ganze Zeit darüber definiert hatte?
Der letztendliche Zweck, den eine gläubige Muslima hat(?), ist das Leben im Sinne Gottes. Sie möchte ihr Leben nach moralischen Grundsätzen vollbringen, die sie als gut akzeptiert hat, ausgerichtet nach praktischen Maßstäben sowie ihrem allmächtigen Schöpfer dienen (und dafür das „Paradies“ erreichen).
Benötigt sie dazu ein Kopftuch? Ist sie ohne Bedeckung eine Fehlgeleitete, oder Frau, die „nackt, obwohl bekleidet“ ist (Muhammad)? Entspricht der hijab einer Kippa, einem Weihnachtsbaum oder Kruzifix, möglicherweise aber auch gar keinem davon?
Sehen wir uns an, wie im Laufe der Geschichte und heutzutage für (und gegen) das Tragen des Kopftuches argumentiert wurde.
Im Qur'an heißt es: „sie sollen ihre Gewänder überziehen, so ist am ehesten gewährleistet, dass man sie erkennt“ Hier sollte man hinterfragen, was denn die Signifikanz des Erkennens ist. In der Weltgeschichte , vor allem im Orient, Byzanz und in der christlichen Welt (vgl. Bibel bezüglich Unterscheidung „ Dirne“ und „respektables Weib“) diente eine Kopfbedeckung einfach zur Differenzierung zwischen freier Frau (Erhöhung") und Sklavin. Zugegebenermaßen ist die Gesellschaft, die Sklaverei erlaubt, kein allzu gutes Vorbild.
Die am häufigsten verwendete Idee ist allerdings die der Züchtigkeit.
Viele haben Einwände dagegen und fragen, ob es nicht effizienter wäre, den Männern Mäßigung zu propagieren. Darauf antworten Verteidiger des Islam in der Regel, dass ein Mann zwar eine Frau nicht gegen ihren Willen nehmen darf (in keiner Weise, wie ich hinzu fügen möchte), Allah aber weiß, dass es Männer gibt, die sich nicht beherrschen können.
Weiterhin ist es wichtig zu wissen, dass die obersten Pflichten eines gläubigen Muslims Mäßigung und Unterwerfung (heißt Islam!) sind. Dazu gehört auch tadelloses Verhalten, was Sexuelles betrifft.
"die ihre Scham hütenden Männer
und die sie hütenden Frauen - Allah hat für sie Verzeihung und gewaltige
Belohnung vorbereitet"
Manche führen die Argumentation der Selbstkontrolle ad absurdum: Laut Israr Ahmad, einem pakistanischen Politiker, kann kein Mann für Vergewaltigung bestraft werden, solange noch Frauen auf den Straßen sichtbar sind.
Immer stellt der weibliche Teil die Hälfte der Bevölkerung des Landes und sollte nicht nur deswegen mit Respekt bedacht werden.
Der nächste Satz sollte nicht als Gutheißen der Polygamie ausgelegt werden: Jedoch, ist die teilweise von Muslimen praktizierte Mehrehe deshalb ein akzeptierter Entwurf, weil er die Sexualität des Mannes in einigermaßen kontrollierte Bahnen gelenkt wird. Wenn ein Mann seine Gelüste nicht kontrollieren (das heißt nicht, unterdrücken) kann, ist er nicht des Paradieses würdig, da eine derartige Ausnutzung des weiblichen Geschlechts allem widerspricht, wofür der Islam steht.
Wer sich an die Vielzahl der Vergewaltigungsprozesse in Europa erinnert, wir auch merken, dass oft eine besonders perfide Ausrede hervorgebracht wird: Sie hätte es doch gewollt, sie hat sich aufreizend gekleidet. Es geht jedoch hier nicht um Schuld. Der Vergewaltiger wird bestraft (und nicht das Opfer, wie in der Bibel, wo es den Täter heiraten muss), auch im arabischen Raum, wenn die Menschen dort endlich zu Sinnen kommen.
Die folgenden Aussagen einer Männer sollte man aufmerksam durchlesen, sie sind Zeugnis für einen tief greifenden Geschlechtsfundamentalismus (ich werde sie auch später erwähnen):
Nach dem Gelehrten Al-Ahwazi ist „die Frau selbst ist eine 'awrah[Blöße], weil man sich für sie schämt, wenn sie sich zeigt: genau wie man sich schämt, wenn die 'awrah zum Schein kommt. Und die 'awrah ist das Geschlechtsteil und alles, wofür man sich schämt, wenn es sichtbar wird."Noch im Jahre 1992 stufte der iranische Geheimdienst Frauen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit ein.
Jedoch ist die Frau nicht bloß Hüterin ihrer „Ehre“ (ihrer Geschlechtlichkeit), sondern ein autonomes Wesen. Der Ansatz ihre „Versuchung“ abzuschaffen, indem man sie aus der Öffentlichkeit entfernt und dadurch ihre Gleichberechtigung zu garantieren, ist schlicht falsch.
Andere Assoziationen sind beispielsweise die Absage an die Oktroyierung des westlichen Moralgefüges bei der Islamischen Revolution im Iran. Das Kopftuch erhält einen politische Gehalt.
Doch wenden wir uns „gemäßigteren“ bis aufgeklärten Stimmen zu.
Pierre Vogel* argumentiert unter anderem auch damit für das Kopftuch: „Es schützt sie vor anzüglichen Blicken. Sie gebietet Respekt, wie eine Nonne."
Ein weiterer Grund ist Zurückhaltung: „Sie sollen ihren Schmuck nicht zur Schau tragen.“ Das bedeutet, sie solle sich nicht übermäßig herausputzen und sich nicht in Eitelkeit ergehen. Dadurch gibt es keine Eifersucht, die andere korrumpiert. Salopp übertragen könnte man auch sagen, man solle keine teuren Schmuckstücke außerhalb des Hauses anlegen, nicht seinen flach trainierten Bauch unbedeckt zu lassen. Modenschauen gäbe es nicht, zumindest nicht mit der heutigen Intention. Auch müssten sich Frauen nicht einreden, sie ließen sie aus freiem Willen die Brüste operieren.
Auch ist das Kopftuch kein rein muslimisches Phänomen: Auch der neutestamentarische Paulus fordert von der Frau ihr Haupt zu bedecken, da ihr Verhalten auf ihren Mann zurückfällt, oder, anders ausgedrückt, „der Mann das Haupt seiner Frau ist, wie Jesus das Haupt des Mannes ist.“
Es sollte klar werden, dass das Kopftuch nicht zur Unterdrückung der Frau konzipiert ist, sondern nur die Interpretation dafür sorgt.
Gerade die in Ländern mit einer muslimischen Minderheit lebenden Frauen wollen sich mit dem Anlegen des Kopftuches (oder dem „Nehmen des Schleiers“, die Wortwahl assoziiert eine autonome Entscheidung) ein Stück Unabhängigkeit erobern: Die Ablehnung des Modediktates und eines immer extremere Formen annehmenden Körper- und Jugendkultes. Dieser Aspekt wird im vierten Teil dieser Serie gesondert beleuchtet, da er sehr kompliziert und teilweise widersprüchlich ist, wie sich bald zeigen wird. Soviel sei gesagt: Pornografie und ständige Konfrontation mit enthüllten Körpern ist nicht förderlich, sie sorgt für keine Katharsis und ist auch kein Beweis der Emanzipation der Frau.
Ist es nicht eine Tortur für die verhüllte islamische Frau, wenn sie im Alltag (z.B. in Deutschland) belästigenden Blicken sowie Diskriminierung (Arbeitsmarkt, Vorurteile) ausgesetzt ist und sie sich faktisch selbst ausgrenzt? Viele Aussagen von ernüchterten Musliminnen geben den Anschein, dass dies zutrifft. Viele Gelehrte bringen hilfreiche fatwas heraus, deren letztendlicher Zweck ist, die Frauen zur Auswanderung zu bringen. Nun ist unklar, was sie sich dadurch erhoffen. Verständigung wohl nicht. Es überrascht auch, da ein Ausweichen dem Missionsgedanken im Weg steht, der diesen Männer eigentlich am Herzen liegt.
Doch dieses Problem stellt sich für Muslime eigentlich gar nicht: Sie wollen sich abgrenzen. Hygiene, ordentliches Auftreten, ein gesunder Körper sind primär. Doch während die Frauen auf ihr Erscheinungsbild achten, sollen sie nicht in die Versuchung geraten, sich aufreizend darzustellen (tabarujj), sie sollte nicht einen Aspekt (hier Aussehen) über einen anderen bevorzugen. „Er liebt ja
nicht die Maßlosen.“ Ihre gesamte Schönheit sollte nur für ihren Ehemann und mahram Personen sichtbar sein, also direkte Verwandte und andere Frauen.
Einige Frauen versuchen, ihre Bestätigung durch Anerkennung ihres Körpers zu erhalten. Dadurch handelt man aus Selbstgefälligkeit und Prunksucht.
„Verflucht ist der Sklave des Dinars, Dirhams und
der raffinierten Kleidung aus Samt und Seide! Wird
es ihm gegeben, ist er zufrieden. Wird es ihm nicht
gegeben, ist er unzufrieden.“ (Hadith, von Muslim)
Eine entsprechende Einstellung sorgt also dafür, dass man von Konsumdenken befreit wird. Jede Erfüllung eines Bedürfnisses bringt einen neuen Wunsch hervor. Es ist nötig, jede Gewohnheit zu hinterfragen und auf ihre psychologische Nützlichkeit hin zu untersuchen.
Doch es heißt auch: „Sag: Wer hat den Schmuck Allahs verboten, den Er für Seine Knechte hervorgebracht hat,“ sowie „Allah liebt es, die Zeichen Seines Geschenks an Seine Diener zu sehen.“ Es kommt auf die Intention an. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind, erstere nicht auf passive Sexobjekte und letztere nicht auf immer-potente sexgesteuerte Wesen reduziert werden, gibt es gar nicht derartige Kontroversen. Wie auch eine altarabische Dichterin meinte: „Warum soll ich mein Haar verhüllen, wenn es doch eine Gabe von Allah ist?“ Eine derartig selbstbewusste Einstellung ist begrüßenswert. Diese Frau geht mit einer Selbstverständlichkeit mit ihrem Körper um, die zeigt, dass sie sich nicht Opfer/Kindchenschema aufzwingen lässt.
Eine Feministin meine einmal im Zusammenhang mit Vergewaltigung, dass Frauen mit ihren Absatzschuhen meilenweit zu hören seien, wie sie nun so hilflos voran trippelten und nicht einmal rennen könnten. Doch das Tragen eines Kopftuches sollte keine Schwäche demonstrieren. Unglücklicherweise haben Auswüchse wie die Burqa zur Folge, dass die Bewegungsfreiheit sowie sogar der Sichtbereich der Trägerinnen eingeschränkt ist.
Wenn junge, selbstbewusst Frauen ein Kopftuch tragen, dann deuten sie die negativ konnotierte Symbolkraft des hijabs um. Es wirkt identitätsstiftend und traditionsbildend für sie. Es fungiert differenzierend und integrierend. Sie nehmen sich das Recht, im Alltag ihren Glauben darzustellen. Sie drücken Nichtverfügbarkeit im sexuellen Sinne aus. Sie wird nicht auf ihre erotische Ausstrahlung reduziert, was sonst selbst bei respekteinflößenden, gestandenen Frauen vorkommt. Spricht man ihnen durch Einschränkung (des Kopftuchtragens im öffentlichen Bereich) ihre Mündigkeit ab?
Wiederum wird aber argumentiert, dass man zu einem gottesfürchtigen Leben kein Kopftuch verwenden müsste.
Das stimmt sicherlich. Dennoch sind andere Ansichten genauso valide, solange sie keinen Zwang propagieren.
* Er ist ein deutscher Konvertit, dessen Vorträge zuerst interessant erscheinen, man dann aber feststellt, dass er sich auf jeder Veranstaltung wortgetreu wiederholt. Außerdem ist wenig hilfreich für das Verständnis, dass er ständig arabische Aussprüche, Zitate und Lobpreisungen (as-salam, alhamdulillah, supaanallah etc.) einfließen lässt. http://www.diewahrereligion.de/ (Keine Werbung, nur Quellenangabe)
Kommende Beiträge:
3.Dass sie den Blick abwenden
{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}
{Die geschichtlichen und religiösen Hintergründe des Kopftuches}
Nachdem ich in der vorherigen Ausgabe erläuterte, was überhaupt als Kopftuch gilt und welche Rolle der Qur'an bei der Debatte, ob das Tragen von jenem Pflicht ist, wende ich mich nun der Herausbildung der moralischen Frage zu. Ich warne vor Subjektivität im Text, die allerdings nicht meine Meinung wiederspiegeln muss und auch nicht von Voreingenommenheit meinerseits zeugen sollte.
Muslime behaupten, alle Gesetze, die Allah dem Menschen auferlegt, hätten einen sinnvollen Hintergrund. Es scheint hinter jedem Vers, zumindest aus religiöser Sicht, ein pragmatischer Ansatz zu stecken. Doch viele Aussagen sind pervertiert, für egoistische Zwecke benutzt worden und in ihr Gegenteil verkehrt worden.
Menschen, die individuelle Aufgeklärtheit (und optional Unabhängigkeit von Religion, Atheismus) anstreben, widersprechen vehement der obigen Aussage: Was ist der Sinn darin, Jahrhunderte alte Anweisungen zu befolgen und ihr Leben nach einem von einer möglicherweise nicht-existenten übernatürlichen Entität auferlegten Moralkodex zu folgen, der von? Diese Sichtweise, in der viel Rebellion gegen Organisation von außen und Unsicherheit mitschwingt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Zuerst die generelle Frage, bevor wir auf den hijab zurückkommen: Verheißt die Anwendung bestimmter Ideale (hier: das Tragen des Kopftuches) auf das Leben Freude und Erfolg?
Hier beginnt bereits der Fehlschluss: Die Ziele einer Muslima und einer westlichen (christlich ist nicht implizit gemeint!) Frau divergieren theoretisch auf einigen Ebenen.
Letztere erwartet vielleicht vom Leben beruflichen Erfolg, weite Anerkennung, sexuelle Bestätigung durch die Gesamtheit der Gesellschaft, vor allem aber, dass das „Glück von irgendwo her kommt“, sei es durch tägliches Yoga oder das Befolgen der Tipps eines Frauenratgebers. Versagt sie jedoch, hat dies eine signifikante Wirkung auf die Psyche: wenn ihr(e) Körper/Kompetenz/Charme nicht gut genug ist, was hat sie dann noch, falls sie sich die ganze Zeit darüber definiert hatte?
Der letztendliche Zweck, den eine gläubige Muslima hat(?), ist das Leben im Sinne Gottes. Sie möchte ihr Leben nach moralischen Grundsätzen vollbringen, die sie als gut akzeptiert hat, ausgerichtet nach praktischen Maßstäben sowie ihrem allmächtigen Schöpfer dienen (und dafür das „Paradies“ erreichen).
Benötigt sie dazu ein Kopftuch? Ist sie ohne Bedeckung eine Fehlgeleitete, oder Frau, die „nackt, obwohl bekleidet“ ist (Muhammad)? Entspricht der hijab einer Kippa, einem Weihnachtsbaum oder Kruzifix, möglicherweise aber auch gar keinem davon?
Sehen wir uns an, wie im Laufe der Geschichte und heutzutage für (und gegen) das Tragen des Kopftuches argumentiert wurde.
Im Qur'an heißt es: „sie sollen ihre Gewänder überziehen, so ist am ehesten gewährleistet, dass man sie erkennt“ Hier sollte man hinterfragen, was denn die Signifikanz des Erkennens ist. In der Weltgeschichte , vor allem im Orient, Byzanz und in der christlichen Welt (vgl. Bibel bezüglich Unterscheidung „ Dirne“ und „respektables Weib“) diente eine Kopfbedeckung einfach zur Differenzierung zwischen freier Frau (Erhöhung") und Sklavin. Zugegebenermaßen ist die Gesellschaft, die Sklaverei erlaubt, kein allzu gutes Vorbild.
Die am häufigsten verwendete Idee ist allerdings die der Züchtigkeit.
Viele haben Einwände dagegen und fragen, ob es nicht effizienter wäre, den Männern Mäßigung zu propagieren. Darauf antworten Verteidiger des Islam in der Regel, dass ein Mann zwar eine Frau nicht gegen ihren Willen nehmen darf (in keiner Weise, wie ich hinzu fügen möchte), Allah aber weiß, dass es Männer gibt, die sich nicht beherrschen können.
Weiterhin ist es wichtig zu wissen, dass die obersten Pflichten eines gläubigen Muslims Mäßigung und Unterwerfung (heißt Islam!) sind. Dazu gehört auch tadelloses Verhalten, was Sexuelles betrifft.
"die ihre Scham hütenden Männer
und die sie hütenden Frauen - Allah hat für sie Verzeihung und gewaltige
Belohnung vorbereitet"
Manche führen die Argumentation der Selbstkontrolle ad absurdum: Laut Israr Ahmad, einem pakistanischen Politiker, kann kein Mann für Vergewaltigung bestraft werden, solange noch Frauen auf den Straßen sichtbar sind.
Immer stellt der weibliche Teil die Hälfte der Bevölkerung des Landes und sollte nicht nur deswegen mit Respekt bedacht werden.
Der nächste Satz sollte nicht als Gutheißen der Polygamie ausgelegt werden: Jedoch, ist die teilweise von Muslimen praktizierte Mehrehe deshalb ein akzeptierter Entwurf, weil er die Sexualität des Mannes in einigermaßen kontrollierte Bahnen gelenkt wird. Wenn ein Mann seine Gelüste nicht kontrollieren (das heißt nicht, unterdrücken) kann, ist er nicht des Paradieses würdig, da eine derartige Ausnutzung des weiblichen Geschlechts allem widerspricht, wofür der Islam steht.
Wer sich an die Vielzahl der Vergewaltigungsprozesse in Europa erinnert, wir auch merken, dass oft eine besonders perfide Ausrede hervorgebracht wird: Sie hätte es doch gewollt, sie hat sich aufreizend gekleidet. Es geht jedoch hier nicht um Schuld. Der Vergewaltiger wird bestraft (und nicht das Opfer, wie in der Bibel, wo es den Täter heiraten muss), auch im arabischen Raum, wenn die Menschen dort endlich zu Sinnen kommen.
Die folgenden Aussagen einer Männer sollte man aufmerksam durchlesen, sie sind Zeugnis für einen tief greifenden Geschlechtsfundamentalismus (ich werde sie auch später erwähnen):
Nach dem Gelehrten Al-Ahwazi ist „die Frau selbst ist eine 'awrah[Blöße], weil man sich für sie schämt, wenn sie sich zeigt: genau wie man sich schämt, wenn die 'awrah zum Schein kommt. Und die 'awrah ist das Geschlechtsteil und alles, wofür man sich schämt, wenn es sichtbar wird."Noch im Jahre 1992 stufte der iranische Geheimdienst Frauen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit ein.
Jedoch ist die Frau nicht bloß Hüterin ihrer „Ehre“ (ihrer Geschlechtlichkeit), sondern ein autonomes Wesen. Der Ansatz ihre „Versuchung“ abzuschaffen, indem man sie aus der Öffentlichkeit entfernt und dadurch ihre Gleichberechtigung zu garantieren, ist schlicht falsch.
Andere Assoziationen sind beispielsweise die Absage an die Oktroyierung des westlichen Moralgefüges bei der Islamischen Revolution im Iran. Das Kopftuch erhält einen politische Gehalt.
Doch wenden wir uns „gemäßigteren“ bis aufgeklärten Stimmen zu.
Pierre Vogel* argumentiert unter anderem auch damit für das Kopftuch: „Es schützt sie vor anzüglichen Blicken. Sie gebietet Respekt, wie eine Nonne."
Ein weiterer Grund ist Zurückhaltung: „Sie sollen ihren Schmuck nicht zur Schau tragen.“ Das bedeutet, sie solle sich nicht übermäßig herausputzen und sich nicht in Eitelkeit ergehen. Dadurch gibt es keine Eifersucht, die andere korrumpiert. Salopp übertragen könnte man auch sagen, man solle keine teuren Schmuckstücke außerhalb des Hauses anlegen, nicht seinen flach trainierten Bauch unbedeckt zu lassen. Modenschauen gäbe es nicht, zumindest nicht mit der heutigen Intention. Auch müssten sich Frauen nicht einreden, sie ließen sie aus freiem Willen die Brüste operieren.
Auch ist das Kopftuch kein rein muslimisches Phänomen: Auch der neutestamentarische Paulus fordert von der Frau ihr Haupt zu bedecken, da ihr Verhalten auf ihren Mann zurückfällt, oder, anders ausgedrückt, „der Mann das Haupt seiner Frau ist, wie Jesus das Haupt des Mannes ist.“
Es sollte klar werden, dass das Kopftuch nicht zur Unterdrückung der Frau konzipiert ist, sondern nur die Interpretation dafür sorgt.
Gerade die in Ländern mit einer muslimischen Minderheit lebenden Frauen wollen sich mit dem Anlegen des Kopftuches (oder dem „Nehmen des Schleiers“, die Wortwahl assoziiert eine autonome Entscheidung) ein Stück Unabhängigkeit erobern: Die Ablehnung des Modediktates und eines immer extremere Formen annehmenden Körper- und Jugendkultes. Dieser Aspekt wird im vierten Teil dieser Serie gesondert beleuchtet, da er sehr kompliziert und teilweise widersprüchlich ist, wie sich bald zeigen wird. Soviel sei gesagt: Pornografie und ständige Konfrontation mit enthüllten Körpern ist nicht förderlich, sie sorgt für keine Katharsis und ist auch kein Beweis der Emanzipation der Frau.
Ist es nicht eine Tortur für die verhüllte islamische Frau, wenn sie im Alltag (z.B. in Deutschland) belästigenden Blicken sowie Diskriminierung (Arbeitsmarkt, Vorurteile) ausgesetzt ist und sie sich faktisch selbst ausgrenzt? Viele Aussagen von ernüchterten Musliminnen geben den Anschein, dass dies zutrifft. Viele Gelehrte bringen hilfreiche fatwas heraus, deren letztendlicher Zweck ist, die Frauen zur Auswanderung zu bringen. Nun ist unklar, was sie sich dadurch erhoffen. Verständigung wohl nicht. Es überrascht auch, da ein Ausweichen dem Missionsgedanken im Weg steht, der diesen Männer eigentlich am Herzen liegt.
Doch dieses Problem stellt sich für Muslime eigentlich gar nicht: Sie wollen sich abgrenzen. Hygiene, ordentliches Auftreten, ein gesunder Körper sind primär. Doch während die Frauen auf ihr Erscheinungsbild achten, sollen sie nicht in die Versuchung geraten, sich aufreizend darzustellen (tabarujj), sie sollte nicht einen Aspekt (hier Aussehen) über einen anderen bevorzugen. „Er liebt ja
nicht die Maßlosen.“ Ihre gesamte Schönheit sollte nur für ihren Ehemann und mahram Personen sichtbar sein, also direkte Verwandte und andere Frauen.
Einige Frauen versuchen, ihre Bestätigung durch Anerkennung ihres Körpers zu erhalten. Dadurch handelt man aus Selbstgefälligkeit und Prunksucht.
„Verflucht ist der Sklave des Dinars, Dirhams und
der raffinierten Kleidung aus Samt und Seide! Wird
es ihm gegeben, ist er zufrieden. Wird es ihm nicht
gegeben, ist er unzufrieden.“ (Hadith, von Muslim)
Eine entsprechende Einstellung sorgt also dafür, dass man von Konsumdenken befreit wird. Jede Erfüllung eines Bedürfnisses bringt einen neuen Wunsch hervor. Es ist nötig, jede Gewohnheit zu hinterfragen und auf ihre psychologische Nützlichkeit hin zu untersuchen.
Doch es heißt auch: „Sag: Wer hat den Schmuck Allahs verboten, den Er für Seine Knechte hervorgebracht hat,“ sowie „Allah liebt es, die Zeichen Seines Geschenks an Seine Diener zu sehen.“ Es kommt auf die Intention an. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind, erstere nicht auf passive Sexobjekte und letztere nicht auf immer-potente sexgesteuerte Wesen reduziert werden, gibt es gar nicht derartige Kontroversen. Wie auch eine altarabische Dichterin meinte: „Warum soll ich mein Haar verhüllen, wenn es doch eine Gabe von Allah ist?“ Eine derartig selbstbewusste Einstellung ist begrüßenswert. Diese Frau geht mit einer Selbstverständlichkeit mit ihrem Körper um, die zeigt, dass sie sich nicht Opfer/Kindchenschema aufzwingen lässt.
Eine Feministin meine einmal im Zusammenhang mit Vergewaltigung, dass Frauen mit ihren Absatzschuhen meilenweit zu hören seien, wie sie nun so hilflos voran trippelten und nicht einmal rennen könnten. Doch das Tragen eines Kopftuches sollte keine Schwäche demonstrieren. Unglücklicherweise haben Auswüchse wie die Burqa zur Folge, dass die Bewegungsfreiheit sowie sogar der Sichtbereich der Trägerinnen eingeschränkt ist.
Wenn junge, selbstbewusst Frauen ein Kopftuch tragen, dann deuten sie die negativ konnotierte Symbolkraft des hijabs um. Es wirkt identitätsstiftend und traditionsbildend für sie. Es fungiert differenzierend und integrierend. Sie nehmen sich das Recht, im Alltag ihren Glauben darzustellen. Sie drücken Nichtverfügbarkeit im sexuellen Sinne aus. Sie wird nicht auf ihre erotische Ausstrahlung reduziert, was sonst selbst bei respekteinflößenden, gestandenen Frauen vorkommt. Spricht man ihnen durch Einschränkung (des Kopftuchtragens im öffentlichen Bereich) ihre Mündigkeit ab?
Wiederum wird aber argumentiert, dass man zu einem gottesfürchtigen Leben kein Kopftuch verwenden müsste.
Das stimmt sicherlich. Dennoch sind andere Ansichten genauso valide, solange sie keinen Zwang propagieren.
* Er ist ein deutscher Konvertit, dessen Vorträge zuerst interessant erscheinen, man dann aber feststellt, dass er sich auf jeder Veranstaltung wortgetreu wiederholt. Außerdem ist wenig hilfreich für das Verständnis, dass er ständig arabische Aussprüche, Zitate und Lobpreisungen (as-salam, alhamdulillah, supaanallah etc.) einfließen lässt. http://www.diewahrereligion.de/ (Keine Werbung, nur Quellenangabe)
Kommende Beiträge:
3.Dass sie den Blick abwenden
{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}
Almujadilah - 15. Feb, 21:31
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