Unveiling

Freitag, 22. Februar 2008

A Voice for the Hidden

bannervoice2

Dienstag, 19. Februar 2008

Muslimas, hinterm Schleier

In El País Semanal vom 17.02 schreibt Jesús Rodríguez einen Artikel über Muslimas in Spanien, mit besonderer Bezugnahme auf das Kopftuch, dem hiyab, wie die spanische Schreibweise lautet. Mir scheint, dass in Spanien die Integration mindestens genauso intensiv diskutiert wird wie hier. Um euch diesen (langen) Text nicht vorzuenthalten, will ich ihn auszugsweise (frei) ins Deutsche übersetzen. Entschuldigt bitte, wenn es stellenweise nicht ganz ausgefeilt klingt.

"Musulmanas - Más allá del velo" por Jesús Rodriguez
Sie verhüllen den Kopf, um ihre Identität zu zeigen und ihre Religion nicht zu verstecken. Es sind einige der halben Million Frauen der islamischen Gemeinde Spaniens. Sie haben sich entschlossen, den Hijab mit äußerstem Stolz zu präsentieren.
Unter jedem Kopftuch steckt ein Kopf. Und jeder ist anders. Obwohl wir uns bemühen, sie als gleich zu betrachten. Einige sind von Frauen die von weit her kommen, mit der Vergangenheit brechend; andere sind hier [Spanien] von muslimischen oder christlichen Eltern geboren, studierten in spanischen Schulen und entschieden sich eines Tages der Religion Muhammads zu folgen.
[...]
Einige emigrierten des Überlebens wegen, andere auf der Suche nach einem Horizont der Freiheit. Manche sind Akademikerinnen. Zahlreiche können kaum lesen oder schreiben. Teilweise sind sie brav dem Ehemann gefolgt, reproduzieren in Spanien den patriarchalen Mikrokosmos ihrer Ursprungkultur wieder, teilweise schaffen sie es dem zu entfliehen.
Manche kommen allein, mit einem individuellen Lebensprojekt. Sie sind verwitwet oder geschieden. Andere schleifen hinter sich einen Haufen Kinder her, die schon Spanier sind. [?] Einige arbeiten sehr hart, andere leben eingesperrt. Teilweise praktizieren sie den Islam strikt, allergisch auf die Berührung durch einen Mann der nicht zur Familie gehört [...]; zum Teil geben sie sich täglich auf dem Raval von Barcelona mit geisterartigen Junkies und Prostituierten ohne mit der Wimper zu zucken. Und sie halten sich für gute Gläubige. "Ob ich eine gute oder schlechte Muslima bin, wissen nur Gott und ich.", sagt eine davon.
Verschiedene Auslegungformen des Islam. Wie die Distanz zwischen Fátima Teleb, eine interkulturelle Vermittlerin in Badalona, die den Reporter empfängt - den Arm ausgestreckt [sic!], die Hand steif, um auch nur die minimale Möglichkeit des Körperkontakts zu vermeiden - und Huma Jamshed, Anführerin der pakistanischen Frauen in Barcelona, die sich fast überschlägt in ihrer stürmischen Absicht den Reportern zwei Küsschen zu geben als Beweis der Brüderlichkeit. Fátima und Huma sind das Bild, dass jeder Schleier eine Welt [für sich] ist.
[...]
Sie alle eint der Islam. Heute versuchen sie ihren Weg zu finden, ohne ihre Religion abzuweisen. Die in diesem Report erwähnten Frauen bekräftigen, dass sie den Hijab aus eigener Entscheidung tragen. Aus Überzeugung. Als Flagge ihrer Herkunft und Religion. Mit ihrem Feminismus.
Eine Stufe weiter unten, die demütigeren Frauen, die Immigrantinnen des Magreb, begehren nicht auf; keiner fragte sie je. Sie sind nicht in der Lage, das Haus unverschleiert zu verlassen, aus Respekt [?] für den Mann, die Familie, die Tradition. "Ohne ihn wäre ich wie nackt."
Militante wie Unterdrückte, alle zahlen einen Preis. Sie fühlen sich beobachtet, überwacht und unverstanden. Verpflichtet sich zu rechtfertigen. Auf dem Arbeitsmarkt zur Seite geschoben. Sie haben es nicht leicht.
"In diesem Land ist es noch schwer das Tuch zu tragen." sagen sie. Ein paar sind bereit für ihre Identität zu kämpfen. Für eine multikulturelle Gesellschaft. [...]





...to be continued... (19.-21.02)

Disclaimer: Ich lerne erst seit knapp 13 Monaten Spanisch. Auch wenn ich problemlos jede Art von Texten verstehend lesen oder hören kann, bedeutet das nciht automatisch, dass ich sie ins Deutsche fehlerfrei übertragen kann.

Freitag, 15. Februar 2008

2.Dass sie ihre Scham hüten

//Ich poste diesen Beitrag erneut, da ich die "unveiling"_Serie endlich fortsetzen möchte

{Die geschichtlichen und religiösen Hintergründe des Kopftuches}
Nachdem ich in der vorherigen Ausgabe erläuterte, was überhaupt als Kopftuch gilt und welche Rolle der Qur'an bei der Debatte, ob das Tragen von jenem Pflicht ist, wende ich mich nun der Herausbildung der moralischen Frage zu. Ich warne vor Subjektivität im Text, die allerdings nicht meine Meinung wiederspiegeln muss und auch nicht von Voreingenommenheit meinerseits zeugen sollte.

Muslime behaupten, alle Gesetze, die Allah dem Menschen auferlegt, hätten einen sinnvollen Hintergrund. Es scheint hinter jedem Vers, zumindest aus religiöser Sicht, ein pragmatischer Ansatz zu stecken. Doch viele Aussagen sind pervertiert, für egoistische Zwecke benutzt worden und in ihr Gegenteil verkehrt worden.
Menschen, die individuelle Aufgeklärtheit (und optional Unabhängigkeit von Religion, Atheismus) anstreben, widersprechen vehement der obigen Aussage: Was ist der Sinn darin, Jahrhunderte alte Anweisungen zu befolgen und ihr Leben nach einem von einer möglicherweise nicht-existenten übernatürlichen Entität auferlegten Moralkodex zu folgen, der von? Diese Sichtweise, in der viel Rebellion gegen Organisation von außen und Unsicherheit mitschwingt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Zuerst die generelle Frage, bevor wir auf den hijab zurückkommen: Verheißt die Anwendung bestimmter Ideale (hier: das Tragen des Kopftuches) auf das Leben Freude und Erfolg?
Hier beginnt bereits der Fehlschluss: Die Ziele einer Muslima und einer westlichen (christlich ist nicht implizit gemeint!) Frau divergieren theoretisch auf einigen Ebenen.
Letztere erwartet vielleicht vom Leben beruflichen Erfolg, weite Anerkennung, sexuelle Bestätigung durch die Gesamtheit der Gesellschaft, vor allem aber, dass das „Glück von irgendwo her kommt“, sei es durch tägliches Yoga oder das Befolgen der Tipps eines Frauenratgebers. Versagt sie jedoch, hat dies eine signifikante Wirkung auf die Psyche: wenn ihr(e) Körper/Kompetenz/Charme nicht gut genug ist, was hat sie dann noch, falls sie sich die ganze Zeit darüber definiert hatte?
Der letztendliche Zweck, den eine gläubige Muslima hat(?), ist das Leben im Sinne Gottes. Sie möchte ihr Leben nach moralischen Grundsätzen vollbringen, die sie als gut akzeptiert hat, ausgerichtet nach praktischen Maßstäben sowie ihrem allmächtigen Schöpfer dienen (und dafür das „Paradies“ erreichen).

Benötigt sie dazu ein Kopftuch? Ist sie ohne Bedeckung eine Fehlgeleitete, oder Frau, die „nackt, obwohl bekleidet“ ist (Muhammad)? Entspricht der hijab einer Kippa, einem Weihnachtsbaum oder Kruzifix, möglicherweise aber auch gar keinem davon?
Sehen wir uns an, wie im Laufe der Geschichte und heutzutage für (und gegen) das Tragen des Kopftuches argumentiert wurde.
Im Qur'an heißt es: „sie sollen ihre Gewänder überziehen, so ist am ehesten gewährleistet, dass man sie erkennt“ Hier sollte man hinterfragen, was denn die Signifikanz des Erkennens ist. In der Weltgeschichte , vor allem im Orient, Byzanz und in der christlichen Welt (vgl. Bibel bezüglich Unterscheidung „ Dirne“ und „respektables Weib“) diente eine Kopfbedeckung einfach zur Differenzierung zwischen freier Frau (Erhöhung") und Sklavin. Zugegebenermaßen ist die Gesellschaft, die Sklaverei erlaubt, kein allzu gutes Vorbild.

Die am häufigsten verwendete Idee ist allerdings die der Züchtigkeit.
Viele haben Einwände dagegen und fragen, ob es nicht effizienter wäre, den Männern Mäßigung zu propagieren. Darauf antworten Verteidiger des Islam in der Regel, dass ein Mann zwar eine Frau nicht gegen ihren Willen nehmen darf (in keiner Weise, wie ich hinzu fügen möchte), Allah aber weiß, dass es Männer gibt, die sich nicht beherrschen können.
Weiterhin ist es wichtig zu wissen, dass die obersten Pflichten eines gläubigen Muslims Mäßigung und Unterwerfung (heißt Islam!) sind. Dazu gehört auch tadelloses Verhalten, was Sexuelles betrifft.
"die ihre Scham hütenden Männer
und die sie hütenden Frauen - Allah hat für sie Verzeihung und gewaltige
Belohnung vorbereitet"

Manche führen die Argumentation der Selbstkontrolle ad absurdum: Laut Israr Ahmad, einem pakistanischen Politiker, kann kein Mann für Vergewaltigung bestraft werden, solange noch Frauen auf den Straßen sichtbar sind.
Immer stellt der weibliche Teil die Hälfte der Bevölkerung des Landes und sollte nicht nur deswegen mit Respekt bedacht werden.
Der nächste Satz sollte nicht als Gutheißen der Polygamie ausgelegt werden: Jedoch, ist die teilweise von Muslimen praktizierte Mehrehe deshalb ein akzeptierter Entwurf, weil er die Sexualität des Mannes in einigermaßen kontrollierte Bahnen gelenkt wird. Wenn ein Mann seine Gelüste nicht kontrollieren (das heißt nicht, unterdrücken) kann, ist er nicht des Paradieses würdig, da eine derartige Ausnutzung des weiblichen Geschlechts allem widerspricht, wofür der Islam steht.

Wer sich an die Vielzahl der Vergewaltigungsprozesse in Europa erinnert, wir auch merken, dass oft eine besonders perfide Ausrede hervorgebracht wird: Sie hätte es doch gewollt, sie hat sich aufreizend gekleidet. Es geht jedoch hier nicht um Schuld. Der Vergewaltiger wird bestraft (und nicht das Opfer, wie in der Bibel, wo es den Täter heiraten muss), auch im arabischen Raum, wenn die Menschen dort endlich zu Sinnen kommen.

Die folgenden Aussagen einer Männer sollte man aufmerksam durchlesen, sie sind Zeugnis für einen tief greifenden Geschlechtsfundamentalismus (ich werde sie auch später erwähnen):
Nach dem Gelehrten Al-Ahwazi ist „die Frau selbst ist eine 'awrah[Blöße], weil man sich für sie schämt, wenn sie sich zeigt: genau wie man sich schämt, wenn die 'awrah zum Schein kommt. Und die 'awrah ist das Geschlechtsteil und alles, wofür man sich schämt, wenn es sichtbar wird."Noch im Jahre 1992 stufte der iranische Geheimdienst Frauen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit ein.

Jedoch ist die Frau nicht bloß Hüterin ihrer „Ehre“ (ihrer Geschlechtlichkeit), sondern ein autonomes Wesen. Der Ansatz ihre „Versuchung“ abzuschaffen, indem man sie aus der Öffentlichkeit entfernt und dadurch ihre Gleichberechtigung zu garantieren, ist schlicht falsch.

Andere Assoziationen sind beispielsweise die Absage an die Oktroyierung des westlichen Moralgefüges bei der Islamischen Revolution im Iran. Das Kopftuch erhält einen politische Gehalt.

Doch wenden wir uns „gemäßigteren“ bis aufgeklärten Stimmen zu.

Pierre Vogel* argumentiert unter anderem auch damit für das Kopftuch: „Es schützt sie vor anzüglichen Blicken. Sie gebietet Respekt, wie eine Nonne."

Ein weiterer Grund ist Zurückhaltung: „Sie sollen ihren Schmuck nicht zur Schau tragen.“ Das bedeutet, sie solle sich nicht übermäßig herausputzen und sich nicht in Eitelkeit ergehen. Dadurch gibt es keine Eifersucht, die andere korrumpiert. Salopp übertragen könnte man auch sagen, man solle keine teuren Schmuckstücke außerhalb des Hauses anlegen, nicht seinen flach trainierten Bauch unbedeckt zu lassen. Modenschauen gäbe es nicht, zumindest nicht mit der heutigen Intention. Auch müssten sich Frauen nicht einreden, sie ließen sie aus freiem Willen die Brüste operieren.

Auch ist das Kopftuch kein rein muslimisches Phänomen: Auch der neutestamentarische Paulus fordert von der Frau ihr Haupt zu bedecken, da ihr Verhalten auf ihren Mann zurückfällt, oder, anders ausgedrückt, „der Mann das Haupt seiner Frau ist, wie Jesus das Haupt des Mannes ist.“
Es sollte klar werden, dass das Kopftuch nicht zur Unterdrückung der Frau konzipiert ist, sondern nur die Interpretation dafür sorgt.

Gerade die in Ländern mit einer muslimischen Minderheit lebenden Frauen wollen sich mit dem Anlegen des Kopftuches (oder dem „Nehmen des Schleiers“, die Wortwahl assoziiert eine autonome Entscheidung) ein Stück Unabhängigkeit erobern: Die Ablehnung des Modediktates und eines immer extremere Formen annehmenden Körper- und Jugendkultes. Dieser Aspekt wird im vierten Teil dieser Serie gesondert beleuchtet, da er sehr kompliziert und teilweise widersprüchlich ist, wie sich bald zeigen wird. Soviel sei gesagt: Pornografie und ständige Konfrontation mit enthüllten Körpern ist nicht förderlich, sie sorgt für keine Katharsis und ist auch kein Beweis der Emanzipation der Frau.

Ist es nicht eine Tortur für die verhüllte islamische Frau, wenn sie im Alltag (z.B. in Deutschland) belästigenden Blicken sowie Diskriminierung (Arbeitsmarkt, Vorurteile) ausgesetzt ist und sie sich faktisch selbst ausgrenzt? Viele Aussagen von ernüchterten Musliminnen geben den Anschein, dass dies zutrifft. Viele Gelehrte bringen hilfreiche fatwas heraus, deren letztendlicher Zweck ist, die Frauen zur Auswanderung zu bringen. Nun ist unklar, was sie sich dadurch erhoffen. Verständigung wohl nicht. Es überrascht auch, da ein Ausweichen dem Missionsgedanken im Weg steht, der diesen Männer eigentlich am Herzen liegt.
Doch dieses Problem stellt sich für Muslime eigentlich gar nicht: Sie wollen sich abgrenzen. Hygiene, ordentliches Auftreten, ein gesunder Körper sind primär. Doch während die Frauen auf ihr Erscheinungsbild achten, sollen sie nicht in die Versuchung geraten, sich aufreizend darzustellen (tabarujj), sie sollte nicht einen Aspekt (hier Aussehen) über einen anderen bevorzugen. „Er liebt ja
nicht die Maßlosen
.“ Ihre gesamte Schönheit sollte nur für ihren Ehemann und mahram Personen sichtbar sein, also direkte Verwandte und andere Frauen.
Einige Frauen versuchen, ihre Bestätigung durch Anerkennung ihres Körpers zu erhalten. Dadurch handelt man aus Selbstgefälligkeit und Prunksucht.
Verflucht ist der Sklave des Dinars, Dirhams und
der raffinierten Kleidung aus Samt und Seide! Wird
es ihm gegeben, ist er zufrieden. Wird es ihm nicht
gegeben, ist er unzufrieden.“
(Hadith, von Muslim)
Eine entsprechende Einstellung sorgt also dafür, dass man von Konsumdenken befreit wird. Jede Erfüllung eines Bedürfnisses bringt einen neuen Wunsch hervor. Es ist nötig, jede Gewohnheit zu hinterfragen und auf ihre psychologische Nützlichkeit hin zu untersuchen.

Doch es heißt auch: „Sag: Wer hat den Schmuck Allahs verboten, den Er für Seine Knechte hervorgebracht hat,“ sowie „Allah liebt es, die Zeichen Seines Geschenks an Seine Diener zu sehen.“ Es kommt auf die Intention an. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind, erstere nicht auf passive Sexobjekte und letztere nicht auf immer-potente sexgesteuerte Wesen reduziert werden, gibt es gar nicht derartige Kontroversen. Wie auch eine altarabische Dichterin meinte: „Warum soll ich mein Haar verhüllen, wenn es doch eine Gabe von Allah ist?“ Eine derartig selbstbewusste Einstellung ist begrüßenswert. Diese Frau geht mit einer Selbstverständlichkeit mit ihrem Körper um, die zeigt, dass sie sich nicht Opfer/Kindchenschema aufzwingen lässt.

Eine Feministin meine einmal im Zusammenhang mit Vergewaltigung, dass Frauen mit ihren Absatzschuhen meilenweit zu hören seien, wie sie nun so hilflos voran trippelten und nicht einmal rennen könnten. Doch das Tragen eines Kopftuches sollte keine Schwäche demonstrieren. Unglücklicherweise haben Auswüchse wie die Burqa zur Folge, dass die Bewegungsfreiheit sowie sogar der Sichtbereich der Trägerinnen eingeschränkt ist.

Wenn junge, selbstbewusst Frauen ein Kopftuch tragen, dann deuten sie die negativ konnotierte Symbolkraft des hijabs um. Es wirkt identitätsstiftend und traditionsbildend für sie. Es fungiert differenzierend und integrierend. Sie nehmen sich das Recht, im Alltag ihren Glauben darzustellen. Sie drücken Nichtverfügbarkeit im sexuellen Sinne aus. Sie wird nicht auf ihre erotische Ausstrahlung reduziert, was sonst selbst bei respekteinflößenden, gestandenen Frauen vorkommt. Spricht man ihnen durch Einschränkung (des Kopftuchtragens im öffentlichen Bereich) ihre Mündigkeit ab?

Wiederum wird aber argumentiert, dass man zu einem gottesfürchtigen Leben kein Kopftuch verwenden müsste.
Das stimmt sicherlich. Dennoch sind andere Ansichten genauso valide, solange sie keinen Zwang propagieren.

* Er ist ein deutscher Konvertit, dessen Vorträge zuerst interessant erscheinen, man dann aber feststellt, dass er sich auf jeder Veranstaltung wortgetreu wiederholt. Außerdem ist wenig hilfreich für das Verständnis, dass er ständig arabische Aussprüche, Zitate und Lobpreisungen (as-salam, alhamdulillah, supaanallah etc.) einfließen lässt. http://www.diewahrereligion.de/ (Keine Werbung, nur Quellenangabe)

Kommende Beiträge:
3.Dass sie den Blick abwenden
{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}

1.Dass sie ein Tuch über sich schlagen (rep)

//Ich poste diesen Beitrag erneut, da ich die "unveiling"_Serie endlich fortsetzen möchte.

{Die Einordnung des Kopftuches und koranischen Belege}

Um das Kopftuch rankt die neben dem Terrorpotenzial größte Kontroverse im Bezug auf den Islam.
Man erblickt auf dem Straßen Europas, Afrikas und Asiens eine Vielzahl verschiedener Tucharten: Man unterscheidet zwischen dem bunten, lockeren Schal, dem einfarbigen strenggebundenen Hijab (Kopftuch) oder dem praktischen Tuch einer anatolischen Bäuerin bis hin zu dem langen schwarzen Tschador (Ganzkörperbedeckung), Gesichtverschleierung mittels Niqab bzw. gar der Verdeckung der Augen mit einem besticktem Netz wie bei der afghanischen Burqa.
In der Diskussion werden die Grenzen verwischt, pauschal von Verschleierung gesprochen. Wir werden später sehen, dass es sehr wohl Differenzierungen in der Motivation gibt, die beispielsweise Hijabi- oder Niqabi-Schwestern haben.

Doch was qualifiziert im qur'anischen Sinne als Verhüllung?
Oft wird der arabische Begriff dafür nicht erwähnt, als hijab lediglich sieben Mal.

Eine göttliche Anweisung lautet: „Wenn ihr etwas Notwendiges von den Ehefrauen des Propheten zu fordern habt, tut dies hinter einer Verhüllung.“ Da hier die Gläubigen angesprochen sind, kann der Begriff Verhüllung nur im weiteren Sinne mit Vorhang übersetzt werden.
Im Qur'an heißt es dazu weiterhin: „ [sie sollen] ihren Busen mit einem khimar verdecken."(24) Khimar ist der arabische Begriff, für so gut wie alles, das aus Stoff ist – Tischdecken, Blusen, Taschentücher, Schals... Es muss also nicht, wie die gängige Vorstellung, Kopfbeckung bedeuten.
Diese Stelle bezieht sich auf die typischen Gewänder der damaligen Zeit, sie waren sehr tief ausgeschnitten. Es fällt auf, dass nicht vom Bedecken der Haare die Rede ist. Wenn dies Allahs Wille ist, besteht zur Verwunderung Anlass, denn er hätte es problemlos explizit offenbaren können. Er ist nicht auf einen Gelehrten angewiesen, der die entsprechende Bedeutung herausfindet.Weiterhin findet man laut einigen Übersetzern die Anweisung, „sie [sollen sich durch] ihr Übergewand bedecken, wenn sie aus dem Haus gehen. So werden sie als Ehrbare erkannt und es ist gewährleistet, dass man sie nicht belästigt.“
Die Tatsache, dass sie dieses Gewand sowieso tragen und nur u.U. modifizieren müssten, spricht gegen ein “richtiges” Kopftuch.
Diese Stelle kann jedoch auch anders übertragen werden, nämlich als “das Übergewand verlängern”, was sprachlich korekkter wäre. Allah schreibt wiederum NICHT vor, wie diese Verlängerung/Bedeckung zu erfolgen hat, ob knielang oder knöchellang. Dies ist hilfreich, um den Islam auch bei veränderten Gegebenheiten praktizieren zu können. Allah vergisst nichts.

Es gibt noch weitere Belege in Qur'an und Sunna für eine Kleiderordnung. So soll nur das unbedeckt sein, was nötig ist (meist reaktionär als Augen und Hände interpretiert), ebenso soll die awrah, Blöße nicht sichtbar sein. Leider ist dieser Begriff nicht einheitlich definiert. Er umfasst nach gängiger Meinung bei Männern den Unterleib, bei Frauen aber den gesamten Bereich von Wade bis Hals. Wenn für das Kopftuch argumentiert wird, zählt man auch Nacken und Haar dazu.
Nun ist es aber nötig, sich im Klaren darüber zu sein, dass auch für ältere (geschlechtsreife) Kinder gilt, dass sie nicht die awrah ihrer Eltern sehen sollten.* Hier wird deutlich, dass nur die Geschlechtsmerkmale gemeint sein können, alles andere wäre krankhaft paranoid und inkonsistent, da der Islam eine praktisch-pragmatisch orientierte Religion sein sollte. *(Auch vor nicht muslimischen FRAUEN soll die Scham einer Muslima verborgen bleiben.)

In einer Hadith (Erzählung vom Leben des Propheten) wird erwähnt, dass die Frauen einer Stadt nachdem sie Muhammads Anweisung zur anständigen Kleidung hörten, ihr Gewand über sich zogen, so dass sie wie Krähen aussahen. Dieser Vergleich scheint für die Burqa zu sprechen, wer schon einmal eine alte Iranerin gesehen hat, kann sich den Parallelen nicht entziehen.

Laut zahlreicher religiöser Autoritäten ist das Missachten der islamischen Kleiderordnung haram, also verboten. Um sich die Schwere dieser Einstufung vor Augen zu führen ist es wichtig zu wissen, dass es fünf Niveaustufen für Handlungen gibt. Haram ist die unterste, sie ist äußerst negativ für den Gläubigen. Doch es ist nicht klar, ob das Nichttragen eines Kopftuches auch darunter fällt.

Eine weitere Überlieferung (al-Bukhari von Aisha) besagt, dass die Frauen nach der Verkündung dieser Regel ihre Kleider zerrissen und mit den Stoffstücken Kopf und Gesicht bedeckten. Ein Fall von anfänglichem Übereifer?

Nun sollten wir nach dem tieferen Sinn dieser Verhüllung fragen.
Ist die Muslima nicht unverrückbar die Andere? Wird nicht ihre Objekt- und Opferposition zementiert? Wird sie nicht eingeengt und in die Unterwerfung, nicht nur unter Allah, sondern auch unter ihren Ehemann gezwungen?
Die zentrale Frage lautet: Ist eine Verhüllung obligatorisch und wenn ja, in welchem Umfang?

Es zeigt sich, dass es an dieser Stelle noch keine eindeutige Antwort geben kann, da der Qur'an zahlreiche ambivalente Aussagen beinhaltet. Weshalb jedoch ist das heilige Buch der Muslime dermaßen uneindeutig? Ist es etwa nicht zuverlässig?
In explizit muslimische Argumentation übertragen, gibt es folgenden Einwand: Allah hat als allwissende Existenz zu jeder Zeit gewusst, was aus seiner Schöpfung wird - und bereut es nicht, wie beim christlichen Gott der Fall. Er hätte gewusst, dass der eine Hälfte der Muslime zum Kopftuch notfalls mit Gewalt verpflichtet, die andere es verbietet. Seine Botschaft muss also eindeutig sein, wenn sie erst einmal vom kulturellen Kontext gelöst wurde. Warum sollte Er unklare Anweisungen herab senden? Natürlich können über Jahrhunderte Veränderungen aufgetreten sein – entweder ideologisch motiviert oder durch Überschätzung der Gedächtnisleistung der frühen Gläubigen.
Atheisten werden natürlich die Vorstellung eines omnipräsenten Gottes per se ablehnen.
Bevor muslimische Mitleser jedoch protestieren möchte ich einwenden, dass der Prophet laut Überlieferung meinte „Hinweg mit denen, die später Verfälschungen einführen.“ Dies muss sich nicht auf illegitime Glaubensreformen beziehen, sondern gerade auf die Interpretationen, die dem Geist des Islam entgegenstehen.

Doch hier taucht der gefährliche Begriff der Kultur und Tradition auf. Darauf werde ich in späteren Teilen eingehen. Soviel sei dazu hier gesagt: Man kann Praxis und Theorie, Kulturkreis und Religion nicht eindeutig trennen. Der kollektive Hintergrund reicht nicht als Erklärung oder Entschuldigung aus.

Doch eine Frage kann beantwortet werden (obwohl wir ihre Implikationen erst später erfahren werden), nämlich die nach dem Symbolgehalt jeglicher Verschleierung. Das Kopftuch ist nicht mit dem christlichen Kreuz vergleichbar, obwohl oft konträres behauptet wird. Es ist ein teilweise individuell bestimmbares Element der Kleiderordnung und hat weder religiösen noch sonstigen Signalcharakter, obwohl wie schnell deutlich wird, es mit politischen und gesellschaftlichen Implikationen variierender Ideologien aufgeladen ist.

Kommende Beiträge:
2.Dass sie ihre Scham hüten
{Die geschichtlichen und religiösen Hintergründe des Kopftuches}
3.Dass sie den Blick abwenden
{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}

Montag, 24. September 2007

Kampf ums Kopftuch

Die Türkei steht womöglich vor einer Wende beim Kopftuchverbot an Universitäten. Im Entwurf für eine neue Verfassung fordern Rechtsexperten ein Ende des Banns - die Säkularisten gehen auf die Barrikaden.
Von Annette Großbongard
Istanbul - Fatma Benli ist Rechtsanwältin, in einem Goldrahmen hängt die Zulassung von der Anwaltskammer an der Wand ihres Istanbuler Büros, daneben ihr Uni-Diplom. Doch trotz ihrer einwandfreien Qualifikation kann die 34-jährige Juristin ihren Beruf nur eingeschränkt ausüben: Sie darf nicht vor Gericht auftreten. Der Grund ist das gelb-braune Kopftuch, mit dem Fatma Benli aus religiösen Gründen ihr Haar verhüllt.

Liebe Fatma, das Kopftuch ist nicht religiöse Pflicht. Vielmehr versucht man(n) dir einen Moralkodex aufzuerlegen. Ich nehme an, du übst deinen Beruf aus Überzeugung aus. Du willst für Gerechtigkeit sorgen, den menschen helfen. Du möchtest Gutes tun.

In der streng säkularen Türkei dürfen Frauen mit Kopftuch weder Richterinnen sein noch Ärztinnen, sie dürfen nicht auf Ämtern arbeiten - und nicht studieren.
Dann bitte ich dich, strenge dich für deine Ideale an. Streben nach Wissen IST eine religiöse Pflicht, also gehe in die Universität.

Für Gerichtstermine geht sie heute einen Kompromiss ein: Sie schickt eine Partner-Anwältin ohne Kopftuch.
Allerdings ist dies eine faule Lösung. Wenn das Kopftuch deiner Meinung anch obligatorisch ist, warum unterstützt du das nicht-konforme Verhalten deiner Geschlechtsgenossin? Du sieht, wohin das führt. Ich frege dich noch einmal - bis du bereit, auszuüben, wofür du jahrelang gelernt hast? Ist dein Gerechtigkeitssinn stark genug? Dann betrete den Gerichtssaal, ohne hijab, dir bleibt schließlich keine Wahl.

Ein Teil des strengen Banns könnte jetzt fallen. Die Türkei diskutiert über eine neue Verfassung. Die bisherige, die noch aus der Feder der Militärs nach dem Putsch von 1980 stammt, soll reformiert werden. Dabei könnten sich den Kopftuchfrauen endlich zumindest die Türen der Universitäten wieder öffnen.
Dies ist ein Fortschritt, auch wenn er wie ein Rückschritt wirkt. Die orthodoxen Frauen (bzw. mit konservativen Eltern) werden nicht mehr von Bildung ausgeschlossen und zur Passivität verdammt. In Deutschland gibt es diese Problematik auch: Man nimmt sich ein Vorbild an frankreich und wettert gegen kopftuchtragende Schülerinnen. Man erkennt nicht, dass man den Mädchen damit einen Bärendienst erweist.

"Wegen seiner Kleidung und seines Aussehens darf niemandem das Recht auf Hochschulausbildung verwehrt werden." Alternativ: "Kleidung und Aussehen an Universitäten ist frei." Wenn ein mädchen/eine Frau sich ohne Kopftuch schämt: Es reicht, das zu tun, was wirklich im Qur'an steht: Verlängert eure Kleidung, bedeckt euren Busen und tragt keinen auffälligen Schmuck.

Wenn das Kopftuchverbot falle, warnt der linke frühere Justizminister Hikmet Sami Türk, entstehe ein "religiöser Druck", der sich nicht nur auf Kleidung und Aussehen begrenzt. Auch "Freiheit und Unabhängigkeit der Lehre" seien in Gefahr.
Aber diesen Druck gibt es bereits. Und er verletzt mit dem gesetzlichen Ausschluss die Menschenrechte der Frau, beschränklt sie in ihrer freiheit

Schon nach einem Jahr werde man keine Studentinnen mehr ohne Kopftuch sehen, prophezeit gar der Meinungsforscher Turhan Erdem, "am Ende werden wir getrennte Klassen für Jungen und Mädchen einrichten müssen". Andere sehen sogar schon "das Ende der Republik" gekommen.
Wenn es für die jetzigen Frauen primär ist Bildung zu erhalten, und sie dafür das Kopftuch "aufgeben", warum sollte sich das signifikant ändern?

Quelle (des kursiven texts): SpiegelOnline

Freitag, 21. September 2007

3.Dass sie den Blick abwenden

// Dieser Essay ist nicht annähernd fertiggestellt. Sein Umfang wird sich bis Montag verdreifachen. Unglücklicherweise bleibt mir heute keine Zeit für Erweiterungen. Ich habe 30 Stunden Arbeitszeit für die Schule über das Wochenende vor mir. Ich entschuldige mich für die Verzögerung. Um mein Versprechen zu halten, veröffentliche ich folgenen Rohentwurf.

{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}Aus bisherigen Kenntnissen können einige Thesen etabliert werden:
Das Kopftuch ist kein rein muslimisches Phänomen, sondern taucht aus unterschiedlichen Gründen in vielen Zeiten und Kulturen auf, beispielsweise im frühen Juden- und Christentum, sowie bis zur Mitte des 20.Jahrhunderts in Deutschland. Die ursprüngliche Motivation zur Einführungwar eine moralische Schutzfunktion. Es gibt keine skripturalen Belege für eine Obligation zum Kopftuch-tragen. Alle Anweisungen sind im historischen und kulturellen Kontext zu sehen. Dennoch, die Absichten sind pervertiert wurden – zugegebenermaßen vom (politischen) Islam und den frommesten Muslimen.

Einer der Hauptgründe, weshalb der hijab heutzutage von zahlreichen Menschen und Gruppierungen abgelehnt wird, ist die damit verbundene Jahrhunderte währende Geschichte der Oppression und religiös gerechtfertigter Gewaltanwendung gegen Frauen.

Der ausländische Betrachter nimmt mit Furcht und Bestürzung die vollkommen verhüllten Tschadorträgerinnen - die wandelnden Krähen, die man nicht einschätzen kann, die ihre Blicke abwenden, deren Gesicht man nicht sieht -, trifft Hijabis mit enganliegender, offenherziger Kleidung. Er spürt die Ambivalenz, kann sich nicht erklären, wie diese Paradoxien zustande kommen. Das Kopftuch trägt zahlreiche Ideologien – von neo-Schamhaftigkeit, religiösem Eifer bis zu politischem Imperialismus.

Jedem ist bekannt, dass weibliche Menschen in islamisch-geprägten Ländern unter unvorstellbarer Ungerechtigkeit leben müssen. Auch erkennt man ähnlich repressive Struckturen mittlerweile in Europa, da Erziehung. Viele Betroffene suchen vergeblich Hilfe bei Staat und Legislative.

Das „Koranurteil“, bei dem eine Scheidungsrichterin auf Grundlage des Qur'ans argumentierte, die Ehefrau müsste mit häuslicher Gewaltrechnen, da ihr Mann, hat kurzzeitig hohe Wellen in den Medien geschlagen. Dies ist nur ein Beispiel zynischer Rechtssprechung. Es sollte jedoch nicht als Beweis für die Islamisierung Europas bzw. Unterwanderung durch reaktionäre Kräfte mit Sharia-Einführungsbestrebungen, sondern lediglich als Warnung vor Kulturrelativismus dienen.
//.......
Obwohl derartige Vorfälle lediglich die Spitze des Eisbergs sind, stellen sie nicht die Regel dar. Doch latente Abwertung und Gewalt ist üblich.

In jüngster Zeit wurde eine Burqa als Verkleidung von einem aus der pakistanischen Roten Moschee fliehenden Fundamentalisten getragen. [Beruhuigend, dass der Qur'an kein Äquivalent zu dieser Bibelstelle kennt: „Ein Mann soll nicht die Gewänder einer Frau tragen, eine Frau nicht die Ausrüstung es Mannes.“...]

//.....

Ich konstatiere, dass während nicht jede Muslima eine Unterdrückte ist, man nicht die Augen verschließen darf und ihr Hilfe verweigern, da sie sich angeblich selbst, freiwillig in diese Situation gebracht hätte. Es ist falsch, sie in ein Opferschema zu kategorisieren, so wie auch nicht jeder Mann als Täter eingeordnet werden kann. Was jetzt nötig ist, ist kein Opferfeminismus, sondern eine aktive Emanzipation. Die Kopftuchdebatte darf jedoch keinesfalls von den wirklichen, relevanten Problemen ablenken.

Doch diese alte Sichtweise, dass Modernität und Aufklärung mit Unverhülltsein einhergehen, befindet sich im Wandel. Junge Frauen, besonders Konvertitinnen kämpfen paradoxerweise Sie geben sich nicht mit den bisherigen Konnotationen zufrieden und kleiden sich bewusst mit einer Verhüllung. Ihre Beweggründe und die politischen Auswirkungen dieser Entwicklung werden in den nächsten beiden Kapiteln erläutert.

Kommende Artikel:
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}

Freitag, 7. September 2007

1.Dass sie ein Tuch über sich schlagen

{Die Einordnung des Kopftuches und koranischen Belege}
Um das Kopftuch rankt die neben dem Terrorpotenzial größte Kontroverse im Bezug auf den Islam.
Man erblickt auf dem Straßen Europas, Afrikas und Asiens eine Vielzahl verschiedener Tucharten: Man unterscheidet zwischen dem bunten, lockeren Schal, dem einfarbigen strenggebundenen Hijab (Kopftuch) oder dem praktischen Tuch einer anatolischen Bäuerin bis hin zu dem langen schwarzen Tschador (Ganzkörperbedeckung), Gesichtverschleierung mittels Niqab bzw. gar der Verdeckung der Augen mit einem besticktem Netz wie bei der afghanischen Burqa.
In der Diskussion werden die Grenzen verwischt, pauschal von Verschleierung gesprochen. Wir werden später sehen, dass es sehr wohl Differenzierungen in der Motivation gibt, die beispielsweise Hijabi- oder Niqabi-Schwestern haben.

Doch was qualifiziert im qur'anischen Sinne als Verhüllung?
Oft wird der arabische Begriff dafür nicht erwähnt, als hijab lediglich sieben Mal.

Eine göttliche Anweisung lautet: „Wenn ihr etwas Notwendiges von den Ehefrauen des Propheten zu fordern habt, tut dies hinter einer Verhüllung.“ Da hier die Gläubigen angesprochen sind, kann der Begriff Verhüllung nur im weiteren Sinne mit Vorhang übersetzt werden.
Im Qur'an heißt es dazu weiterhin: „ [sie sollen] ihren Busen mit einem khimar verdecken."(24) Khimar ist der arabische Begriff, für so gut wie alles, das aus Stoff ist – Tischdecken, Blusen, Taschentücher, Schals... Es muss also nicht, wie die gängige Vorstellung, Kopfbeckung bedeuten.
Diese Stelle bezieht sich auf die typischen Gewänder der damaligen Zeit, sie waren sehr tief ausgeschnitten. Es fällt auf, dass nicht vom Bedecken der Haare die Rede ist. Wenn dies Allahs Wille ist, besteht zur Verwunderung Anlass, denn er hätte es problemlos explizit offenbaren können. Er ist nicht auf einen Gelehrten angewiesen, der die entsprechende Bedeutung herausfindet.Weiterhin findet man laut einigen Übersetzern die Anweisung, „sie [sollen sich durch] ihr Übergewand bedecken, wenn sie aus dem Haus gehen. So werden sie als Ehrbare erkannt und es ist gewährleistet, dass man sie nicht belästigt.“
Die Tatsache, dass sie dieses Gewand sowieso tragen und nur u.U. modifizieren müssten, spricht gegen ein “richtiges” Kopftuch.
Diese Stelle kann jedoch auch anders übertragen werden, nämlich als “das Übergewand verlängern”, was sprachlich korekkter wäre. Allah schreibt wiederum NICHT vor, wie diese Verlängerung/Bedeckung zu erfolgen hat, ob knielang oder knöchellang. Dies ist hilfreich, um den Islam auch bei veränderten Gegebenheiten praktizieren zu können. Allah vergisst nichts.

Es gibt noch weitere Belege in Qur'an und Sunna für eine Kleiderordnung. So soll nur das unbedeckt sein, was nötig ist (meist reaktionär als Augen und Hände interpretiert), ebenso soll die awrah, Blöße nicht sichtbar sein. Leider ist dieser Begriff nicht einheitlich definiert. Er umfasst nach gängiger Meinung bei Männern den Unterleib, bei Frauen aber den gesamten Bereich von Wade bis Hals. Wenn für das Kopftuch argumentiert wird, zählt man auch Nacken und Haar dazu.
Nun ist es aber nötig, sich im Klaren darüber zu sein, dass auch für ältere (geschlechtsreife) Kinder gilt, dass sie nicht die awrah ihrer Eltern sehen sollten.* Hier wird deutlich, dass nur die Geschlechtsmerkmale gemeint sein können, alles andere wäre krankhaft paranoid und inkonsistent, da der Islam eine praktisch-pragmatisch orientierte Religion sein sollte. *(Auch vor nicht muslimischen FRAUEN soll die Scham einer Muslima verborgen bleiben.)

In einer Hadith (Erzählung vom Leben des Propheten) wird erwähnt, dass die Frauen einer Stadt nachdem sie Muhammads Anweisung zur anständigen Kleidung hörten, ihr Gewand über sich zogen, so dass sie wie Krähen aussahen. Dieser Vergleich scheint für die Burqa zu sprechen, wer schon einmal eine alte Iranerin gesehen hat, kann sich den Parallelen nicht entziehen.

Laut zahlreicher religiöser Autoritäten ist das Missachten der islamischen Kleiderordnung haram, also verboten. Um sich die Schwere dieser Einstufung vor Augen zu führen ist es wichtig zu wissen, dass es fünf Niveaustufen für Handlungen gibt. Haram ist die unterste, sie ist äußerst negativ für den Gläubigen. Doch es ist nicht klar, ob das Nichttragen eines Kopftuches auch darunter fällt.

Eine weitere Überlieferung (al-Bukhari von Aisha) besagt, dass die Frauen nach der Verkündung dieser Regel ihre Kleider zerrissen und mit den Stoffstücken Kopf und Gesicht bedeckten. Ein Fall von anfänglichem Übereifer?

Nun sollten wir nach dem tieferen Sinn dieser Verhüllung fragen.
Ist die Muslima nicht unverrückbar die Andere? Wird nicht ihre Objekt- und Opferposition zementiert? Wird sie nicht eingeengt und in die Unterwerfung, nicht nur unter Allah, sondern auch unter ihren Ehemann gezwungen?
Die zentrale Frage lautet: Ist eine Verhüllung obligatorisch und wenn ja, in welchem Umfang?

Es zeigt sich, dass es an dieser Stelle noch keine eindeutige Antwort geben kann, da der Qur'an zahlreiche ambivalente Aussagen beinhaltet. Weshalb jedoch ist das heilige Buch der Muslime dermaßen uneindeutig? Ist es etwa nicht zuverlässig?
In explizit muslimische Argumentation übertragen, gibt es folgenden Einwand: Allah hat als allwissende Existenz zu jeder Zeit gewusst, was aus seiner Schöpfung wird - und bereut es nicht, wie beim christlichen Gott der Fall. Er hätte gewusst, dass der eine Hälfte der Muslime zum Kopftuch notfalls mit Gewalt verpflichtet, die andere es verbietet. Seine Botschaft muss also eindeutig sein, wenn sie erst einmal vom kulturellen Kontext gelöst wurde. Warum sollte Er unklare Anweisungen herab senden? Natürlich können über Jahrhunderte Veränderungen aufgetreten sein – entweder ideologisch motiviert oder durch Überschätzung der Gedächtnisleistung der frühen Gläubigen.
Atheisten werden natürlich die Vorstellung eines omnipräsenten Gottes per se ablehnen.
Bevor muslimische Mitleser jedoch protestieren möchte ich einwenden, dass der Prophet laut Überlieferung meinte „Hinweg mit denen, die später Verfälschungen einführen.“ Dies muss sich nicht auf illegitime Glaubensreformen beziehen, sondern gerade auf die Interpretationen, die dem Geist des Islam entgegenstehen.

Doch hier taucht der gefährliche Begriff der Kultur und Tradition auf. Darauf werde ich in späteren Teilen eingehen. Soviel sei dazu hier gesagt: Man kann Praxis und Theorie, Kulturkreis und Religion nicht eindeutig trennen. Der kollektive Hintergrund reicht nicht als Erklärung oder Entschuldigung aus.

Doch eine Frage kann beantwortet werden (obwohl wir ihre Implikationen erst später erfahren werden), nämlich die nach dem Symbolgehalt jeglicher Verschleierung. Das Kopftuch ist nicht mit dem christlichen Kreuz vergleichbar, obwohl oft konträres behauptet wird. Es ist ein teilweise individuell bestimmbares Element der Kleiderordnung und hat weder religiösen noch sonstigen Signalcharakter, obwohl wie schnell deutlich wird, es mit politischen und gesellschaftlichen Implikationen variierender Ideologien aufgeladen ist.

Kommende Beiträge:
2.Dass sie ihre Scham hüten
{Die geschichtlichen und religiösen Hintergründe des Kopftuches}
3.Dass sie den Blick abwenden
{Das Unterdrückungspotenzial und die Machtfrage „Was nützt wem“}
4.Demut in Zeiten des Überflusses
{Die Anziehungkraft der „Ablehnung der Nacktheit“}
5. Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
{Die Macht der Konvertiten}
6. Gewalt und „dieses Stück Stoff“
{Westliche Apologetik}
7.Fazit
{Was es bedeutet Kopftuchträgerin zu sein}

Freitag, 31. August 2007

To be or not to be ODER Outing auf muslimisch

Prolog
"Eine Frage vornweg, Schwester, trägst du das Kopftuch oder nicht?"
Ja, das ist eine subtanzielle Frage. Und in jedem Falle wird man Ausreden finden müssen.
Es gibt sicher genauso viele (und schwerwiegende) Argumente für die Verhüllung wie für die Gegenposition.
Doch bei der Erörterung kommt es auf die Sichtweise an.
Auch ich kann eigentlich nur subjektiv schreiben. Dennoch werde ich alle Sichtweisen beleuchten. Nun werde ich mich der Frage unterziehen müssen: Was ist mein Standpunkt, wie handhabe ich es? Doch im Unterschied zu sonst wird meine Praxis ganz am Ende enthüllt werden.
Dies ist der Auftakt zu der ausführlichen Serie >>Enthüllungen<< über das Kopftuch (zu finden unter "Unveiling"), die ich euch zu lesen sehr ans Herz lege. Ich würde mich über Verlinkungen wirklich freuen.

Es wird jeden Freitag (pünktlich nach dem Nachmittagsgebet*) einen neuen Beitrag geben.

1.Dass sie ein Tuch über sich schlagen
2.Dass sie ihre Scham hüten
3.Dass sie den Blick zu Boden wenden
4.Fereshta Ludin und die Jungen Liberalen
5.Erhöhung in Zeiten der Demut ODER Wie neu geboren
6.Gewalt und "dieses kleine Stück Stoff"
7."Es ist meine Entscheidung"
8. Fazit


*Übrigens, ein kuriosum: "Bei der Festsetzung [der Zeit] des Nachmittagsgebets (arabisch: °asr, türkisch: ikindi) [herrscht] keine einstimmige Meinung. Am weitesten ist die Anschauung verbreitet, sein Beginn sei dann gekommen, wenn der Schatten eines senkrechten Gegenstandes gleich sei der Schattenlänge zu Mittag zuzüglich der wahren Länge dieses Gegenstandes. Die hanifitische Rechtsschule hingegen lehrt, erst wenn der Schatten eines Gegenstandes gleich der doppelten Länge des Gegenstandes zuzüglich der Schattenlänge zu Mittag sei, sei die Zeit des 'asr erreicht." ABM für Muslime. ;-)

Freitag, 6. Juli 2007

Why "we" dress this way

Das folgende Video soll eine Einstimmung auf die in Kürze beginnende Blog-Serie über die Kopftuchdebatte sein - kritisch beleuchtet, aber aus eienr Insiderposition.

Sonntag, 13. Mai 2007

Mutter - Umm

"Gott hat viele Namen. Einer davon ist sicher - Mutter"

So stand es auf der Werbepostkarte, die ich heute morgen aus dem Briefkasten fischte(sonntags?).
Auch wenn ich das aus muslimischer Sicht nicht bestätigen kann - Allah hat hundert Namen, 99 sind für den Menschen bekannt und ausprechbar, der Erhabene, der Verzeiher, der Hörende oder der Lebengebende. Gerade dieser letzte Name drückt aus, was eine Mutter für viele darstellt.
Umm - das ist der arabische Begriff für Mutter.
Der zweite Teil dieser Bezeichnung besteht aus dem Vornamen einer ihrer Kinder. Der Titel entspricht in etwa dem spanischen Dona. bevor jemand annimmt, das würde die Frau nur auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren - es gibt aus das männliche bzw. kindliche Equivalent: Abu(Vater), Ibn(Sohn), Bint(Tochter).

Mütter haben eine hohe Postion im Islam. Als der Prophet gefragt wurde, welchem Menschen der größe Respekt gilt, anwortete dieser: "Deiner Mutter." Der Fragende bohrte weiter, erhielt aber noch mehrmals die selbe Antwort.

Die Frau ist zwar nicht nur auf die häusliche Sphäre beschränkt, doch das ist ihr wichtigster Aufgabenbereich. Freiwillige Kinderlosigkeit ist nicht unbedingt erwünscht. (Das selbe Stigma gilt allerdings auch in Deutschland!)
Allerdings fallen die Kinder bei einer Scheidung dem Mann zu. Das beruht wohl auf der Annahme, das Frauen sich schwer selbst versorgen können. Und in der Tat, alleinerziehende Mütter haben es schwer, oft leben sie unter der Armutgrenze.
Das soll natürlich nicht heißen, dass es wenig Ausnahmen gibt.

Die Frauen sind es die den Kindern die Werte vermitteln. Dadurch sind auch sie es, die durch ihr unterwürfiges Beispiel das Verhalten der Töchter, und die Mäner durch Dominanz das spätere Verhalten der Söhne prägen.
--------
Meine Mutter wurde ein eine tief religiöse Familie geboren. Doch sie war schon immer eigenständig, trug nur wen es absolut nötig war Kopftuch und Schleier. Ich nehme an, damals war die islamische Welt ein wenig liberaler, was Mittelstandsfamilien betraf.
Sie hat mit 18 geheiratet. Kurz darauf schenkte sie mir das Leben, danach meinen beiden Brüdern und mit dreißig meiner kleinen Schwester. Nach meiner Geburt begann sie ihr Pädagogikstudium - für Arabisch, Biologie und Physik. Nach dem Abschluss arbeitet sie in einer Koranschule für Mädchen, verließ diese dann aber wegen der wachsenden militanten Gesinnung der Einrichtung.
Danach nahm sie die Lehrtätigkeit an einer höheren Schule auf, dann für wenige Jahre an einer Universität. Unterrichtete sie vor Jungen, dann mit Verhüllung, da sich einige Väter beschwehrt hatten, vor Mädchen nicht "um kein schlechtes Beispiel abzugeben".
Dann zogen wir wegen Vaters Arbeit nach England.
Ihr Diplom galt dort nicht, also holte sie es per Fernstudium nach. Sie unterrichtete während dessen an einer Sprachenschule Arabisch und Spanisch. Warum sie als junge Frau nie Englisch lernte, konnte sie nicht erklären, doch es stellte in GB ein Problem dar. Kaum hatte sie ihre Sprachenkenntnisse richtig gefestigt, kamen wir hierher, nach Deutschland. Mit einem Kleinkind kam sie nicht viel unter Leute, wir lebten nicht in einer Immigrantennachbarschaft. So arbeitete sie, als Leyla drei war, in einen libanesischen Geschäft. Bis jetzt kennt sie wenig Deutsch, denn zuerst hatte sie keinen Anspruch auf einen Integrationskurs.

Mutter ist immer aufopferungsvoll, aber sehr selbstbewusst. Sie kocht gern, doch niemals haben wir so aufwendige Gerichte wie Cous-Cous essen können. Zeitverschwendung, sagt Umm Fahima. Sie arbeitete nachmittags und abends, damit sie sich morgens um die Kinder kümmern konnte, wenn sie nicht zu Schule gingen. Sie trägt keinen Hijab, wenn sie das Haus verlässt, meist aber etwas längere, hochgeschlossene Kleidung. Es leben oft einige Verwandte bei uns, manche davon beschweren sich über Mutters "Verwestlichung". Doch das kann man ihr nicht vorwerfen. Sie hat Selbstbewusstsein und Würde.

Underneath the Veil

Denken und Glauben

Wo Verstand ist, da braucht es nicht viele Worte

Nicht jeder, der einen Bart trägt, ist schon ein Weiser. (arab. Sprichwort)

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